Sonntag, 18. April 2010

mit den Vorderfüssen...

...in den Kühlschrank fallen.
Und erst wieder rauskommen wenn selbst der letzte Krümel flüssiger und fester Nahrung weggefressen ist. Das war mein Sonntagnachmittag.

Was zuvor geschah.
6 Uhr:
Der Wecker klingelt. An einem Sonntag.
Mit halbgeschlossenen Augen suche ich mein Supergoover-Trikot, mein Mannschaftstrikot (quietsch orange), meine Hosen und den Pulsgurt zusammen.

Mein Freund hat noch die Jogginghosen an und sieht mich an wie ein Mondkalb: "Oh schon fertig?"
Ja meint der ich verschwende meine Energie so unnötig und zieh mich so früh morgens 2x um?
Das Brotlässt noch auf sich warten, denn der Ofen murrt nur vor sich hin "viel zu früh".

7.15 Uhr:
Wir sind halbwegs fertig angezogen und wach.
Beim losfahren gefrieren mir schon die Hände an den Griffen fest und ich muss wohl oder übel die erste Singeltrailabfahrt ohne Schalten und ohne Bremsen überleben.
Dafür ist mein Puls schon wach. Bis zur ersten Biegung ist der schon fröhlich hüpfend bei 160. Weiss der was er heut noch vor sich hat.

7.35 Uhr:
Wir sind beim Start in St Rémy angekommen. Erfreut stelle ich fest, dass ich nicht die einzige Frostbeule bin.

7.45 Uhr:
Losgehts. Am Voie ferré vorbei freue ich mich noch, dass es wenigstens einen Km geradeaus geht. Und schon gehts in die erste (wir wohlbekannte Steigung). Die ersten
50 von 2400 Höhenmetern. Die hats aber gleich in sich mit teilweise 10% Steigung.
Und so trennt sich auch schon die Spreu vom Weizen: Wer unvorbereitet hierher kommt wird gestraft. Nach 10m Berg sind schon die ersten Ketten gerissen. Andere Schaltwerke krachen laut vor sich hin.
Warum muss man hier schon wie verrückt überholen. Jungs habt ihr das Streckenprofil nicht gesehen. Es gibt genug Platz um sich auszutoben.

Bis Km 10 gings auf gewohntem Terrain vor sich. Meine Hände sind endlich aufgetaut. Meine Füsse noch Eisklumpen und die Sonne scheint mir bereits wärmend aufs Hinterteil.
Nach gefühlten 20km schaue ich auf den Tacho und muss feststellen, dass wir gerade 13km haben.
Und auf gehts in unekanntes Gebiet. Unglaublich aber wahr. Wir fahren kilometerweite Singletrails ohne jemals in der Nähe von bewohntem Gebiet vorbeizuschaun.
Die Trails haben es in sich. kurze knackige anstiege. Ist man oben angekommen -noch mit Wackelpudding in den Beinen - so muss man sich schon wieder einen Hang runterstürzen. Wer bremst verliert, denn nach 3àm runter gehts auf der anderen Seite nochmal 30m hoch. Genauso steil.

Km 20:
endlich. Und schon taucht die erste von 3 Wasserstellen auf.
Es gibt Datteln, Kuchen, Orangen, Schoko und anderes leckeres Zeugs.
Ich tue mich an den Datteln gütlch.
Leider bleibt der versprochene Turboantrieb aus. Dafür ligen weitere 20 schwere Km vor mit.
Und das gewohnte Spiel berghoch fahre ich an den dicken schiebenden mit dicken Rädern ausgestatteten Männern vorbei. Und bergab (wenn die Masse ins Rollen kommt) donnern sie wieder an mir vorbei.
Die übliche Materialschlacht. Mit einem Rad unter 2000 Euronen darf man hier anscheinend nicht mitmachen. Das neuste Scott Genius ist genauso unterwegs, wie die Oberklasse Modelle von Specialized, Cannondale, Trek, Merida etc.
Und überall hockten sie am Wegesrand und flickten Platten und Ketten und andere Teile, die nicht mehr funktionierten.

Zwischendurch schaltete ich immer wieder von der km Anzeige aufs Höhenprofil, da ich mich mit den zäh dahinkriechenden Kms nicht demotivieren wollte.
Aber halt das ist garnicht der Höhenmesser. Das ist mein Puls. Na supi. Da sind wir irgendwo zwischen 68 und 150 Hôhenmeter und mein Puls bei 170.

km 40:
Halbzeit.
Zweit den Wasserbeutel nachzufüllen. Noch mehr Datteln, Kuchen und andere Schweinereien zu fuddern. Und vor allem: Meinem Freund bei Ankunft den Becher aus der hand zu reissen und leer zu saufen *upps* Er wollte teilen. Mein Durst nicht. Nach dem dritten Wasserbecher war mein Durst zu Verhandlungen bereit und wir teilten nun den Becher.
"Jetzt wirds leichter. Hier hinter Cernay gehts ja nimmer so viel hoch und runter"
jaja denkste. Die Streckendesigner haben trotzdem noch genug spassige Up und Downhills gefunden.
Bei einem stand sogar: Vorsicht steinig.
Ich denk mir noch: Da waren aber schon andere, die auch steinig waren und da stand kein Schild.
Aber diese war echt steinig. Einmal von der Ideallinie abgekommen war man in ekelhaftem Geröll unterwegs. Hintendran hattens immer noch welche eilig. Also Augen zu und durch.

Bei 50km wurde es dann still um mich. Sind die alle schon im Ziel? Hoffentlich bauen die mir nicht die Strecke ab. Gibts noch Futter an der dritten Wasserstelle? Fragen über Fragen.

Endlich:
Da vorne sind Menschen! Mit Rädern.
Ja, das waren die die gerade in Richtung 60km abbogen.
"Hier lang!! 60!" riefen sie mir zu und ich grinste und sagte "Nö ich muss da runter auf die 80er". Da erntete ich Bewunderung: "Ey, ne Frau, die 80 fährt und wir jammern bei 60???"
Die Motivation brauchte ich für die bevorstehende Abfahrt. Sandig, ausgespühlt mit dicken Löchern.

60 km:
ich lache leise vor mich hin und sage mir: "Die Mittelstrecke auf der Saarschleife hâttest du jetzt schon gepackt" und wärst halb so platt".
Letztes jahr hatte mich die Saarschleife ja echt beeindruckt. Dieses Jahr geht das auf einer Arschbacke. Denn: dort gibt es Waldautobahnen und es geht zwischendurch mehr als 500m geradeaus!
Auf zur dritten und letzten Wasserstelle. Die Franzosen haben mittlerweile Schinken, Speck und Käse aufgefahren und man munkelt, dass es im Ziel auch Wein gibt.

"Auf die letzten 20 sind nimmer so hart. anscheinend nur noch einem le Madeleine hoch und gudd iss". Sagt mein Gôttergatte.
Schon bei der Vorstellung an die Madeleine geht mein Puls wieder über den Wert des Höhenmessers.
Die Madeleine ist ein Berg und auf den Berg haben sie eine Burg gestellt. Von gaaaaanz unten im Tal sieht man die Burg. und das verdammte Ding will nicht näher kommen.

Wir fahren von der Wasserstelle weg. Nur noch die Madeleine!!!
Pustekuchen!!!
Vor der Madeleine haben sie noch 2 weitere mindestens genauso anstrengende Berge eingebaut.
Und als ich auch die Mdeleine endlich erkâmpft habe graut mir Düsteres. Eine schicke Abfahrt. Aber ins falsche Tal!!! Das hier ist nicht Richtung Heimat. Und dann weist der pfeil auch noch auf einen Weg den ich kenne.
Ein Weg der Bergab richtig Spass macht. Und bergauf richtig anstrengend ist.
Wessen Material bis hier noch keine Ermüdingserscheinungen hatte, der kann sich freuen.
Vor mir wird shon fleissig abgestiegen und geschoben.
Ein anderer sagt noch "ach das ist bestimmt nur ein kleiner Hügel".
Ich weiss es besser. Das ist ein Berg. Ein ganz gemeiner noch dazu. 18% zwischendurch. Und Geröll.
Mein Schweinehund brüllt. Ich prügele ihn weiter.
Nur nicht absteigen. Nur nicht aufgeben. Zeigs dem Berg. Zwischendurch muss ich noch Fahrradschieber aus dem Weg brüllen.
Aber: Sie feuern mich an. Einmal bin ich der Held.
ich bin oben.

70km:
Langsam fange ich an zu fantasieren. Wenn ich zu Hause bin will ich mindestens:
- ein Eis so gross wie ein Haus
- eine Pizza
- eine Flasche cola
- den Schokopudding, den ich mir exta aufgehoben habe
- den restlichen Inhalt der Chipstüte
- eine Dusche um die Dreckkruste von mir zu puhlen
- meine Couch
- noch ein Eis. Himbeer, Erdbeer, brombeer, Kaffée, Pistazien, Schoko, Kirsch, Joghrt...alles

75 km:
So weit kanns doch nimmer sein. Aber ich bin schon wieder im falschen Tal.
Die haben doch tatsächlich auf den letzten 5km noch richtige Höhenmeter versteckt.
Ein anderer kâmpft sich neben mir den Berg hoch und frägt verzweifelt wie weitist. Er hatte sich ein paar mal verfahren und deshalb zeigte sein Tacho schon 80 km an.
Arme Sau. Zuveil gefahren.

80 km:
Letzte Biegung. Der Bahnhof kommt in Sicht. Angekommen.
Glücklich.
Hunger.

Natürlich zerre ich mir gleich ein Käsebrot rein. Und nerve meinen Freund, die Bank im schatten gegen eine in der Sonne zu tauschen.
Nach zwei Bissen merke ich, dass Brot ohne Käse doch besser geeignet ist.

Langsam kommt mir eine Erkenntnis: von zu Hause trennt mich noch ein Berg und ca. 6km.

Der Berg zieht sich wie Kaugummi. Aber oben angekommen gibt es einen ganzen Kühlschrank zum leerfressen.

Heute machen wir erst mal langsam auf der Arbeit. Erst mal Blog schreiben. Nicht auf die Zweite Etage hoch rennen, nur weil der Drucker nimmer funktioniert.

Es war geil. Und Wackelpudding in die Beine machend. Aber total geil.
Nächstes Jahr nochmal.

Und der Saarschleife sei gesagt: ich komme und dieses Jahr lass ich mich nicht von dir beeindrucken.